Verlust – ein Wegbegleiter unseres Lebens
Zeitlebens begegnen wir dem Verlust – mal laut, mal leise.
Dem Verlust unserer Kindheit. Einer Liebesbeziehung. Beruflicher Vorstellungen oder materieller Sicherheiten. Wir erleben, wie Kinder flügge werden und eigene Wege gehen – und wir zurückbleiben, in der Stille des Loslassens. Mit dem Älterwerden verlieren wir oft körperliche Beweglichkeit, manchmal auch unsere Gesundheit. Hinzu kommen geplatzte Träume, gescheiterte Pläne, verblassende Lebensentwürfe.
Und irgendwann trifft es uns im Innersten: Der Tod eines Elternteils. Oder – unaussprechlich – der Tod eines eigenen Kindes. Auch Freunde, Weggefährten, Seelenverwandte verschwinden. Plötzlich nicht mehr da. Einfach weg. Und mit ihnen ein Teil von uns selbst. Verlust hat viele Gesichter. Doch der Verlust durch den Tod trifft uns am tiefsten.
Die Endgültigkeit schmerzt
Ein Mensch, den wir liebten, ist plötzlich nicht mehr greifbar. Wir können ihn nicht mehr sehen, nicht berühren, nicht hören, nicht mit ihm sprechen. Er ist fort – unerreichbar für die, die zurückbleiben. Eine unendliche Trauer breitet sich aus. Sie kann uns überwältigen, lähmen, in Verzweiflung stürzen. Die Zukunft scheint dunkel, leer, sinnlos. Was diesen Schmerz so schwer macht, ist das Gefühl der Endgültigkeit. Kein Weg führt mehr zu dem Verstorbenen. Kein Zurück. Kein Zugang. Nur Stille.
Der schamanische Weg beginnt an der Schwelle
Und doch – genau hier beginnt der schamanische Weg. Mit jeder schamanischen Reise üben wir das Hinübergehen in eine andere, unsichtbare Welt. Eine Welt, die nicht im Außen liegt, sondern in einem tieferen Bewusstseinsraum. Wissenschaftlich messbar verändert sich während solcher Reisen unser körperlicher Zustand: Puls, Blutdruck, hormonelle Abläufe – alles passt sich an.
Doch was wirklich zählt, ist die innere Erfahrung: Ein Teil von uns reist. Ein Teil von uns sammelt Erfahrungen jenseits des Sichtbaren. Mit jeder Reise betreten wir die Schwelle zwischen den Welten. Erfahrene Reisende spüren diesen Übergang oft nur noch zart – doch er ist da. Ein bewusster Schritt zwischen dem Alltäglichen und dem Nichtalltäglichen. Zwischen Hier und Dort.

Was uns die Natur lehrt
Wie können wir durch die schamanische Sichtweise mit Verlust besser umgehen? Die Natur zeigt uns einen Weg – in einem viel schnelleren Zyklus, als ein Menschenleben ihn je durchläuft.
Im Frühling erwacht sie aus dem Winterschlaf, voller Hoffnung und Lebenskraft. Im Sommer blüht sie auf, feiert Hochzeit, schenkt Fülle. Im Herbst reift sie – und lässt los. Die Bäume werfen ihre Blätter ab – ohne Widerstand. Die Natur zieht sich zurück in ein stilles Wissen: Der Winter ist nicht das Ende, sondern Teil eines größeren Rhythmus. Im Winter ruht die Welt. Kein Lärm, kein Wachsen, kein Tun – nur Sein.
Eine Zeit der Stille. Der Rückbindung an das Wesentliche. Der Vorbereitung auf das Neue. Diesen immerwährenden Kreislauf kennen wir. Wir wissen: Der Frühling kommt wieder. Nach Dunkelheit kehrt Licht zurück. Und dennoch – fällt es uns Menschen oft so schwer, loszulassen?
- Warum halten wir fest, obwohl alles vergeht?
- Warum können wir den Tod nicht als Teil des Lebens annehmen?
- Warum fällt es uns so schwer, das Unvermeidliche zu umarmen?
Vielleicht, weil wir verlernt haben, im Rhythmus der Natur zu leben. Weil wir vergessen haben, dass wir selbst Teil dieses großen Kreises sind. Der schamanische Weg erinnert uns daran: Leben und Tod sind keine Gegensätze. Sie sind zwei Seiten derselben Wirklichkeit. Wer den Tod umarmt, öffnet sich dem Leben – in seiner ganzen Tiefe.
Dankbarkeit – der leise Weg zur Heilung
Ein kraftvoller Schlüssel in Zeiten des Verlusts ist die Dankbarkeit. Dankbarkeit dafür, dass wir lieben durften. Dass wir teilen, lachen, lernen, wachsen konnten – mit dem Menschen oder dem Teil unseres Lebens, den wir verloren haben. Dankbarkeit verbindet uns nicht mit dem Schmerz, sondern mit der Essenz. Sie lässt uns erkennen: Das, was war, war kostbar. Es hatte Sinn. Es hatte Bedeutung.
- Sie wandelt Trennung in Erinnerung
- Schmerz in Würdigung
- Stillstand in einen leisen, neuen Fluss
In der Dankbarkeit beginnt oft die Heilung. Sie ist wie ein Lichtstrahl im Winter – zart, aber kraftvoll. Wie die erste Knospe im Schnee kündet sie vom neuen Leben. Von einem Beginn, den wir noch nicht sehen, aber schon ahnen können.
Und sie erinnert uns daran:
Nichts geht je ganz verloren.
Es wandelt sich. Und lebt weiter – in uns.