ins Gewebe . . .
Wenn der Tod Heimkehr ist !
Die Zeit von Mitte bis Ende Oktober ist historisch geprägt von den Blóts, den alten Opferfesten. Dabei opferte man den Göttern, den Landgeistern (Landvættir) oder den Ahnen. Ein wesentlicher Teil dieser Feiern war den Verstorbenen gewidmet, vergleichbar mit unserem heutigen Totengedenken. Man glaubte, diese Feste dienten auch dazu, Vieh und Felder für den kommenden Winter zu schützen.
Wenn die Seele heimkehrt
Diese Jahreszeit berührt mich in diesem Jahr besonders – denn eine Freundin und ein Familienmitglied sind in die Anderswelt gegangen.
Als ich den Raum der Trauerfeier betrat, brannten fast mannshohe Kerzen. Riesige Vasen voller Lilien flankierten ein überdimensionales Porträt im schweren Rahmen. Als mein Blick das Gesicht des Verstorbenen erreichte, musste ich schlucken und gegen die Tränen ankämpfen. Der Kampf, den dieser Mensch mit dem Tod geführt hatte, stand mir in diesem Moment schmerzlich vor Augen.
Die Feiern waren durchdrungen von Erinnerungen und Erzählungen: von Eltern und Geschwistern, von Kindheitserlebnissen, beruflichen Erfolgen und Reisen ins Ausland als Ausdruck von Offenheit und Neugier. Es wurde von Eigenheiten erzählt, von Fähigkeiten – und auch von Verlusten, die das Leben geprägt hatten.
Wir hörten Anekdoten, die inmitten der Tränen ein Lächeln hervorriefen. Lieder erklangen, die den Verstorbenen begleitet hatten und ihre Haltung zum Leben widerspiegelten. Auch tibetische Elemente fanden Eingang in die Zeremonie – einmal in Form eines Satsang, dessen feierlicher Klang den Raum erfüllte. Für mich jedoch blieb er wie ein ferner Gesang aus einer anderen Welt: ehrwürdig, doch ohne Resonanz in meinem Inneren, zu fremd, um Trost zu schenken.
Da wurde mir bewusst, wie sehr all das, was wir gewöhnlich „irdischen Erfolg“ nennen – Leistungen, Titel, äußere Stationen –, im Angesicht des Abschieds verblasst. Was bleibt, ist die Essenz: spürbar in Gesten, Erinnerungen und in dem stillen Atem, der uns miteinander verbindet.
Der Atem, der Trost webt
Diese Art des Abschieds wollte Würde und Trost vermitteln, indem sie das Leben der Verstorbenen würdigte. Und doch spürte ich, dass etwas Wesentliches fehlte: der spirituelle Atem. Ein Moment, der nicht nur das Vergangene ehrt, sondern die Reise der Seele bewusst begleitet.

Bruder Tod und die Nornen
In einer schamanischen Beerdigung wäre dies ein selbstverständlicher Bestandteil. Dort würde Musik erklingen, hervorgebracht durch den Atem der Schamanin selbst. Bruder Tod erscheint hier nicht als Gegner, sondern als stiller Begleiter, der den Übergang behütet.
Die Nornen, die uralten Schicksalsfrauen, durchtrennen den Lebensfaden, doch sie spinnen ihn sogleich weiter in das große Gewebe, das kein Ende kennt. Hel, die Hüterin des Totenreichs, empfängt die Heimkehrenden – nicht als Drohung, sondern als Ruhe, als Rückkehr zu den Ahnen.
Gesänge, die Türen öffnen
Eine solche Zeremonie lebt vom Klang. Die Gemeinschaft singt nicht zur Unterhaltung, sondern als Brücke. Archaische Töne, getragen von Trommel oder Rassel, öffnen den Weg und tragen die Seele in unsichtbare Räume. Die Stimmen sind mehr als Trost: Sie sind Wegweiser.
Worte bei der Zeremonie könnten dann lauten:
„Bruder Tod, geleite.
Nornen, haltet den Faden.
Hel, öffne deine Hallen.
Wir singen, dass du sicher heimkehrst.“
Am Rand des großen Gewebes
So entsteht ein anderer Abschied: kein bloßes Erzählen über das, was war, sondern ein bewusstes Mitgehen in den Übergang. Der Gesang der Schamanin und das gemeinsame Singen öffnen Erinnerungen, die tief im Inneren ruhen und eine leise Sicherheit schenken. Sie bringt die Urne in die Erde, in Verbindung mit ihren Geistern, in Zwiesprache mit den Nornen und der großen Mutter Erde. In diesem Moment fließen Worte wie ein stiller Wunsch: „Große Mutter – lass ihre Seele nicht vorüberziehen.“
Eine Zeremonie, die den Lebenden Halt gibt – und zugleich die Seele ehrt, die nun auf eine neue Reise geht. Vielleicht fehlt uns heute genau das: ein Gesang, der die Schwelle öffnet, und die Gewissheit, dass niemand allein gehen muss.