Ein Blick in die nordische Mythologie und das Schicksalsgeflecht
Was ist Wyrd?
Wyrd ist ein altes englisches Wort, das oft als „Schicksal“ oder „Schicksalsgeflecht“ übersetzt wird. Es stammt vom altenglischen Begriff „wyrðan“, was so viel wie „werden“ oder „geschehen“ bedeutet. In der nordischen Mythologie wird Wyrd als ein komplexes Netz von Ereignissen, Entscheidungen und Konsequenzen verstanden, das alle Lebewesen miteinander verbindet.
Man kann sich das Wyrdnetz wie ein riesiges, kompliziertes Netz aus feinen Fäden vorstellen, das das gesamte Universum durchzieht und alle Wesen, Orte und Zeiten miteinander verknüpft. Jeder Faden repräsentiert ein Leben, ein Ereignis oder eine Möglichkeit. Die Knotenpunkte, an denen sich die Fäden treffen, symbolisieren Begegnungen, Entscheidungen und Wendepunkte.
Dieses Netz ist ständig in Bewegung: Neue Fäden werden gesponnen, bestehende Fäden verändert und Verbindungen geknüpft oder gelöst.
Die isländischen Sagas, wie die „Saga von Egil Skallagrimsson“ und die „Saga von Njal“, thematisieren häufig Schicksal und die Beziehungen zwischen den Charakteren. Diese Aspekte spiegeln das Konzept des Wyrd wider, das in der nordischen Mythologie eine zentrale Rolle spielt. Das Wyrdnetz beschreibt, wie Schicksal, persönliche Beziehungen und die Auswirkungen von Handlungen miteinander verflochten sind und sowohl das individuelle als auch das kollektive Schicksal beeinflussen.
Die „Saga von Egil Skallagrimsson“ erzählt das Leben des Kriegers, Poeten und Bauern Egil Skallagrimsson, der im 10. Jahrhundert in Norwegen und Island lebte. Die Saga ist bekannt für ihre komplexe Charakterzeichnung sowie für Themen wie Ehre, Rache und Familientreue. Sie beginnt mit der Geschichte von Egils Vater Skallagrim, einem mächtigen Mann. Egil wird als ungestümer Junge beschrieben, der schon früh Gedichte verfasst.
Egil kämpft oft um seinen Ruf, was zu Konflikten führt. Besonders nach dem Tod seines Bruders zeigt sich seine Rachsucht. Neben seinen kriegerischen Fähigkeiten ist Egil auch ein begabter Dichter, seine Gedichte reflektieren seine Emotionen und Erfahrungen. Nach verschiedenen Konflikten wird er ins Exil geschickt, kehrt jedoch zurück, um seine Familie zu verteidigen. Die Saga endet tragisch mit seinem Tod.
Die „Saga von Njal“ gilt als eine der größten Sagas Islands. Sie behandelt Freundschaft, Loyalität und Rache sowie die Komplexität menschlicher Beziehungen im Kontext des isländischen Rechtssystems des 10. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt stehen Njal Thorgeirsson, ein weiser Jurist, und Gunnar Hámundarson, ein tapferer Krieger.
Im Laufe der Saga entstehen Konflikte zwischen verschiedenen Familien in Island, die zu blutigen Fehden führen. Njal fungiert oft als Berater in rechtlichen Angelegenheiten und versucht Konflikte durch Verhandlungen zu lösen. Tragisch wird es für Gunnar, als er in einen Konflikt verwickelt wird, der zu seinem Untergang führt, auch Njal wird Opfer eines Verrats.
Beide Sagas bieten tiefgreifende Einblicke in die Kultur und Werte des mittelalterlichen Skandinavien sowie in die menschliche Natur selbst. Sie sind nicht nur literarisch bedeutend sondern auch wichtige historische Dokumente über das Leben dieser Zeit.
Die Konzepte aus der „Saga von Egil Skallagrimsson“ und der „Saga von Njal“ lassen sich auf interessante Weise mit dem Wyrdnetz verbinden. In beiden Sagas sind die Charaktere oft mit ihrem Schicksal konfrontiert; ihre Entscheidungen haben weitreichende Folgen für sie selbst sowie für ihre Nachkommen. Zum Beispiel führt Egils Rachsucht zu einem Kreislauf von Gewalt.
In der „Saga von Njal“ zeigt die Freundschaft zwischen Njal und Gunnar auf eindrucksvolle Weise, wie enge Bindungen sowohl Schutz als auch Gefahr bringen können – Konflikte zwischen Familien beeinflussen das Schicksal vieler Menschen. Das Verhalten eines Individuums hat Auswirkungen auf sein Ansehen und seine Beziehungen. Sowohl Egil als auch Gunnar kämpfen um ihre Ehre; diese Kämpfe führen häufig zu tragischen Konsequenzen.
In beiden Sagas gibt es ständige Verweise auf Ahnen und deren Taten, die Charaktere tragen oft die Last ihrer Vorfahren mit sich. Njal versucht häufig Konflikte durch Dialog zu lösen – dies deutet darauf hin, dass er sich der Verbindungen zwischen den Menschen bewusst ist und versucht, das Gleichgewicht im Wyrdnetz wiederherzustellen.

Im Wyrdnetz wird jede Entscheidung eines Individuums zu einem Faden, der nicht isoliert ist, sondern mit anderen Fäden verwoben ist. Diese Verbindungen beeinflussen sich gegenseitig. Eine Wahl kann neue Beziehungen schaffen oder bestehende verändern. Die Nornen spielen dabei eine entscheidende Rolle, indem sie alle Verknüpfungen im Netz erkennen und dessen Gleichgewicht wahren. Sie reparieren beschädigte Fäden und weben neue Muster. Urd, die Hüterin des Musters – Verdandi, die Hüterin der Zeit – und Skuld, die Hüterin der vergessenen Möglichkeiten.
Historisch gesehen wurden indigene Völker unterdrückt und ihrer traditionellen Lebensweisen beraubt, was zu einem Verlust tiefen Wissens über die Natur und spirituelle Praktiken führte. Diese Unterbrechung hat Risse im Wyrdnetz verursacht – eine Störung der harmonischen Beziehung zwischen Mensch und Natur. Die Folgen sind heute in Form von Umweltzerstörung, Klimawandel, Verlust der Biodiversität und spiritueller Entfremdung spürbar.
Schamanen erkennen jedoch im Wyrdnetz auch die Möglichkeit zur Heilung. Durch Praktiken wie Reisen in andere Wirklichkeiten, Ahnenarbeit und Rituale kann die Verbindung zum Wyrdnetz wiederhergestellt werden. Diese Arbeit zielt darauf ab, Ungleichgewichte zu heilen, Blockaden zu lösen und den Fluss von Wissen sowie Heilung zurückzugewinnen.
In meiner schamanischen Praxis unterstütze ich Klienten dabei, ihre Verbindungen im Wyrdnetz zu stärken. Techniken wie Seelenrückholung helfen dabei, Blockaden zu beseitigen und positive Beziehungen aufzubauen. Das Wyrdnetz lehrt uns zudem, dass unser Schicksal nicht festgelegt ist, es ermutigt uns dazu, aktiv Verantwortung für unsere Entscheidungen zu übernehmen.
Das individuelle Schicksal ist untrennbar mit dem kollektiven Schicksal verbunden. Die Handlungen eines Einzelnen können Kettenreaktionen auslösen, die das Leben anderer beeinflussen. Dies verdeutlicht unsere Teilhabe an einem größeren Ganzen, in dem jede Handlung Bedeutung hat. Zudem umfasst das Wyrdnetz die Einflüsse der Vergangenheit – sowohl persönliche Erfahrungen als auch die Taten unserer Vorfahren prägen unsere Identität und Entscheidungen im Hier und Jetzt.
Im Wyrdnetz existieren zahlreiche Möglichkeiten für die Zukunft, die durch gegenwärtige Entscheidungen aktiviert oder blockiert werden können. Diese Vorstellung zeigt uns, dass das Schicksal nicht festgelegt ist, sondern durch bewusste Handlungen gestaltet werden kann. Wir sind keine passiven Zuschauer in unserem Leben! Jede Entscheidung hat Auswirkungen auf unser persönliches Schicksal sowie auf das unserer Mitmenschen – wir haben die Macht zur aktiven Gestaltung unseres Lebens! Mit dieser Macht kommt Verantwortung: Wir müssen uns den Konsequenzen unserer Handlungen stellen und bereit sein, aus unseren Fehlern zu lernen.
Wir müssen ein Verständnis der eigenen Position im Wyrdnetz entwicklen, das zur Heilung beitragen kann.